Vierte Fahrt an die polnische Grenze
17. März 2022Die Ekklesia in Rot am See und andere Kirchengemeinden holen Menschen aus einem Auffanglager an der polnischen Grenze, bieten ihnen eine Bleibe sowie die Vermittlung von Wohnraum an.
Die 40 Neuankömmlinge haben gefrühstückt und sich ein bisschen ausgeruht; jetzt stehen die „Interviews“ an: Wer ist gekommen, um zu bleiben, wer nur auf der Durchreise? Passnummer? Geburtsdatum? Die Fragebögen, die bei den Behörden einzureichen sind, lassen sich mitunter nur unter Schwierigkeiten ausfüllen.
Viele haben alles verloren, auch die Pässe; die meisten sind traumatisiert. Sie können im E-Werk 38, dem Gemeindezentrum der Ekklesia in Rot am See, nur mit Freundlichkeit sowie materieller und organisatorischer Hilfeleistung unterstützt werden, alles andere muss warten. Aber bereits das macht einen entscheidenden Unterschied aus. Alisha Krauter, die mit ihrem Klemmbrett überall gleichzeitig zu sein scheint, erzählt von der Frau, die wie viele andere zu Fuß über die Grenze kam, fünf Tage unterwegs war und auf halber Strecke von ihrer Periode überrascht wurde. Im polnischen Auffanglager in Mlyny, einem stillgelegten Einkaufszentrum, sind derzeit rund 1000 Menschen notdürftig untergebracht; die Lage dort ist kritisch, Einzelne mit ihren Bedürfnissen gehen unter.
Ein gutes Ankommen
Vielen, die in Mlyny ankommen, fehlt es an Kraft und an Zuversicht. Auf eigene Faust weiterzukommen, überfordert vor allem Mütter mit kleinen Kindern. Immer wieder wird auch von Menschenhändlern berichtet: Die Geflüchteten haben Angst, bei Fremden in Autos und Busse zu steigen. Die Hohenloher bieten ihnen den sicheren Transport nach Deutschland an, außerdem ein gutes Ankommen. In Rot am See werden ganz selbstverständlich nicht nur Duschen, frische, saubere Kleidung und Liegen für drei Tage bereitgestellt, sondern unter anderem auch Hygieneartikel:
Die hier geleistete Hilfe habe ganz viel damit zu tun, diesen Menschen ihre Würde wiederzugeben, so Alisha Krauter, Ehefrau des Pastors Sam Krauter. Viele der Ankömmlinge haben Familie oder Verwandte in Deutschland. Sobald sie sich erholt haben, werden sie zum Bahnhof gefahren, wo sie kostenfrei quer durch Deutschland reisen können. Andere würden gerne zu Bekannten in größeren Auffanglagern fahren, nach Berlin oder Dresden, auch ihnen wird die Weiterreise ermöglicht. Um die Übriggebliebenen kümmern sich drei Kirchengemeinden, die insbesondere Müttern und Kindern übergangsweise, sprich für maximal drei Monate, in Rot am See und umliegenden Städten und Gemeinden Wohnraum vermitteln.
Gute Gründe fürs Helfen
Pastor Samuel Krauter spricht für die evangelische Freikirche Ekklesia: „Wir waren einmal in diesem Auffanglager an der Grenze; wenn man gesehen hat, wie da Mütter und ihre Kinder ankommen, völlig verzweifelt, am Ende ihrer Kräfte, dann lässt einen das nicht los. Wir müssen helfen, wir haben gar keine andere Wahl.“
Auch an theologischen Argumenten fehlt es nicht: Krauter bezieht sich auf Jesaja 58 und darauf, was es heißt, Gott richtig zu lieben. Da gehe es nicht darum, Opfer zu bringen, sondern die Hungrigen zu stärken, den Heimatlosen eine Bleibe zu geben, sich einfach um die Schwachen der Gesellschaft zu kümmern.
An der Seite der Ekklesia streiten Pfarrer Matthias Hammer und die evangelische Kirchengemeinde Rot am See sowie Pastor Anthony Ouma mit der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde Crailsheim PS 23 für einen menschenwürdigen Umgang mit den Opfern des Krieges im Osten. Unterstützt werden sie nach Kräften von der Gemeindeverwaltung Rot am See um Bürgermeister Dr. Sebastian Kampe.
In drei, manchmal in vier Schichten werden die Geflüchteten seit gestern wieder von Ehrenamtlichen betreut. Ab Donnerstag, wenn sie alle weg sind, wird wieder geputzt und alles für eine neue Runde vorbereitet: Am kommenden Montag soll der fünfte Konvoi eintreffen.
Weitere Infos gibt’s unter https://rotamsee-hilft.de.
(c) Text & Bilder: Birgit Trinkle | Hohenloher Tagblatt vom 15. März 2022